Gisèle S. Mbamu
Gisèle Sabina Mbamu
Stipendiatin Literatur 2023
Gisèle Sabina Mbamu (*1983 in Poznan, Polen) lebt und arbeitet in einer kleinen Gemeinde in Norddeutschland. Sie ist eine polnisch-kongolesische Autorin, die in Stuttgart aufgewachsen ist. Sie schreibt an Kurzgeschichten, Erzählungen und ihren ersten Mbamu-Romanen. Für Ihre Kurzfilme und Drehbücher wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
Interview
1. In deinem geplanten Coming of Age-Roman geht es um 5 verschiedene Figuren und um Bücher, die das Leben der Beteiligten für immer verändern werden. Inwiefern trifft das auf dich zu? Wie ist deine Beziehung zu Büchern?
Zwischen meinem 6. und 10. Lebensjahr habe ich sehr viel gelesen. Ich denke, dass ich auch fast alle Kinderbuchklassiker kenne. „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende hat es mir aber besonders angetan. Dieser Roman hat mein Leben verändert. Ab meinem 11. Lebensjahr entdeckte ich das Kino für mich und habe meine Bücherleidenschaft vernachlässigt. Mit Anfang 20 habe ich dann wieder angefangen zu lesen und habe die Schwulenliteratur verschlungen. Als Teenager und junge Frau konnte ich mit cis heteronormativen Coming of Age-Romanen nicht viel anfangen, obwohl ich selbst cis heteronormativ bin. Sie haben mich emotional nicht erreicht. Erst mit Anfang 30 habe ich zu ihnen gefunden, da sich die Storys inhaltlich stark verändert haben. Sie wurden komplexer. Zurzeit, 10 Jahre später, lese ich so gut wie alles, allen voran Own Voice-Bücher von Schwarzen Autor*innen. Zu meinen Lieblingsromanen zählen „Die Verschwindende Hälfte“ von Brit Bennett und „Real Life“ von Brandon Taylor. „Real Life“ hat mich besonders aufgewühlt und hart getroffen, da ich mich mit dem Schwarzen Protagonisten des Romans sehr gut identifizieren konnte, der an einer, lt. normativer Mehrheitsgesellschaft, „renommierten“ Universität studiert und dort mit (Alltags-)Rassismus konfrontiert wird. Ich danke dem Autor, dass er dieses Thema sichtbar gemacht und gezeigt hat, dass Rassismus überall zu finden ist, auch in wohlhabenden, angeblich aufgeklärten, weißen und liberalen gesellschaftlichen Kreisen.
2. Wie kamst du auf die Idee, einen Coming of Age-Roman zu schreiben?
Die Geschichte zu meinem Romanprojekt „Schüler“ spukt bereits seit über 10 Jahren in meinem Kopf herum. Ich hatte aber nie die Zeit, sie aufzuschreiben, weil ständig andere Projekte dazwischenkamen und natürlich auch das Leben. Ich wollte einen Roman über fünf junge und bunte Menschen schreiben, die zu Beginn des neuen Jahrtausends ihre Abenteuer im Schwabenländle erleben. Inspiriert hat mich meine eigene Jugendzeit, die trotz so mancher Herausforderungen, ziemlich lustig und ausgefallen war. Da gibt es viel zu erzählen. Als ich dann von der Ausschreibung der Kunststiftung las, dachte ich mir, yes, die Zeit ist reif, die Geschichte endlich aufzuschreiben. Ich freue mich, dass es mit dem Stipendium geklappt hat.
3. Wie beeinflusst deine kulturelle oder ethnische Identität deine Vorlieben für bestimmte Arten von Literatur?
Ich bin Jahrgang 1983. Damals gab es nur wenige Bücher mit Charakteren, die so aussahen wie ich oder Figuren, die meine Lebensrealität widergespiegelt haben und wenn, dann wurden sie in den Kinder- und Jugendromanen sehr negativ bis böse dargestellt, abgewertet und beleidigt. Das tat meinem Selbstwertgefühl als Kind nicht gut. Ich bin deshalb sehr froh, dass sich da jetzt etwas ändert, wobei man auch sagen muss, dass Deutschland im Vergleich zu England oder den USA hinterherhängt.
Die deutsche Verlagsbranche ist meiner Meinung nach codiert, klassistisch sozialisiert und als BiPoC Autor:in schaffst du es nur, wenn du so schreibst, wie ein deutscher weißer (wohlhabender) Gymnasiast im Leistungskurs Deutsch, 15 Punkte, dich also anpasst. Wenn du von diesem „Stil“ abweichst, kann es passieren, dass es gleich heißt, dass du kein Deutsch kannst und ein „dummer“ Ausländer bist, der in der deutschen Verlagsbranche nichts zu suchen hat.
Es geht also tatsächlich nicht nur darum, Geschichten mit bunten und vielfältigen Charakteren zu schreiben und zu veröffentlichen, sondern diese „Diversität“ sollte sich bitte auch im Schreibstil und Plot widerspiegeln. Alles andere ist eine Behauptung und eine Sichtbarkeit 2. Klasse. Ich habe zum Beispiel einen sehr eigenwilligen Schreibstil, da ich nun mal keine klassische deutsche, weiße Akademikerin bin. Wieso sollte ich also wie eine schreiben? Ich habe zwar an einer „renommierten“ bayerischen Filmhochschule studiert, habe mich aber dort zum Glück nie formen lassen. Das ist nicht meine Welt und ich bin kein Abklatsch weißer Künstler*innen. Ich unterscheide mich also nicht nur aufgrund meiner Hautfarbe und Nationalität von weißen deutschen, akademischen Schriftstellerinnen, sondern auch aufgrund meiner Klassenzugehörigkeit. Ich habe eine hybride Klassenzugehörigkeit, die meine Kunst prägt. Meine polnische und kongolesische Familie gehört in Polen und dem Kongo zur oberen Mittelschicht. Ich hingegen bin mit meiner Mutter in Deutschland in der unteren Mittelschicht in einer Arbeiter:innenklasse aufgewachsen (jedoch in keinem sozialen Brennpunkt). Ich kenne also beide Seiten sehr gut und bin sehr empathisch, wenn es um den Struggle der Arbeiter*innen geht.
Authentische Romanautor:innenstimmen aus der Arbeiter:innen- und Unterklasse (ohne Aufstiegsgeschichte) findet man in der deutschen Verlagsbranche selten.
Als Weltenpendlerin habe ich also einen besonderen Blick auf die Gesellschaft und meine Geschichten halten sich an keine Konventionen. Ich breche gerne mit diesen. Ich bin auch keine Autorin, die sich über deutsche Verlage definiert oder davon träumt, eine Verlagsautorin zu werden, um den deutschen Buchpreis zu gewinnen. Ich bin kein German Dream, sondern mein ganz eigener und persönlicher Traum, den ich kreiere. Als Künstlerin gehe ich also meinen eigenen, unabhängigen Weg.
4. Planst du schon weitere Bücher oder Projekte im Laufe deines Stipendiums?
Yes! Ich schreibe neben „Schüler“ auch noch an einem anderen Roman. Außerdem sind in den letzten zwei Monaten drei neue Kurzgeschichten und Erzählungen entstanden. Mit der Muse läuft es also gut.