
Şafak Sarıçiçek

Şafak Sarıçiçek
Literatur 2023
Şafak Sarıçiçek (*1992 in Istanbul) studierte Jura in Heidelberg und Kopenhagen. Er schrieb seit 2017 sechs Gedichtbände. Sein neuester Gedichtsband ist mit dem Titel »Wasserstätten« im Verlag der 9 Reiche erschienen. Seine Texte wurden u.a. ins Englische, Chinesische, Russische, Estnische und Italienische übersetzt. Am Haus für Poesie in Berlin war er 2020 und 2021 Teilnehmer der Förderwerkstatt open poems. 2021 erhielt er den Preis der Heidelberger Autor:innen und war anschließend Writer in Residence von Nanjing. 2022 nahm er als Stipendiat am Klagenfurter Literaturkurs im Rahmen des Bachmannpreises teil. Ganz aktuell erhielt er ein Arbeitsstipendium des Förderkreises der Schriftsteller:innen in Baden Württemberg für sein Romanprojekt: »Trennung der Tage«. Er arbeitet zur Zeit als Rechtsreferendar in der zweiten Anwaltsstation.
Interview
1. Welche Themen behandelt dein geplanter Roman »Trennung der Tage« und wie spiegelt sich deine eigene Familiengeschichte darin wider?
»Trennung der Tage« will konkrete, vergangene und gegenwärtige Lebensgeschichten, die durch genozidale Handlungen zerrüttet und verbunden sind, in einer Fiktion erfassen. Es geht um das Finden von Worte für Ereignisse, die sich Worten entziehen, die sich in tausende Familienchroniken eingebrannt haben und deren Denken, wie auch Tun, bis heute und vermutlich auf Generationen danach beeinflussen. Inspiration ziehen soll es von den Menschheitsverbrechen, die in der Dersimregion geschahen, die Herkunftsregion meiner Familie und Vorfahren.
2. Du möchtest deinen Roman teilweise monologisch aufbauen. Wie planst du, diese monologischen Passagen einzusetzen, um das intergenerationelle Trauma deiner Charaktere zu vermitteln?
Der Monolog ist die Neurose, das heißt, in ihm trennt sich das Subjekt von seiner Umgebung, aber zugleich ist es der einzige wirkliche, weil ungefilterte Raum seines Ausdrucks. Die historisch erfahrene Erschütterung, welche das Denken und Bewusstsein in den vergangenen Generationen erlebt hat, lässt sich ungefiltert am ehesten noch durch den inneren Monolog in einem Prosatext erfahren. Da dies alles noch im Arbeitszustand, in den ersten Entwürfen ist, kann ich mir aber vieles anderes vorstellen für den oder die Protagonisten: Das gelegentliche Selbstgespräch, das Gespräch aneinander vorbei, das ja oft in Wirklichkeit Monolog neben Monolog ist, der Monolog in einer Gruppenseance.
3. Im September ist dein Lyrikband »Wasserstätten« erschienen. Was hat dich dazu inspiriert, dich mit den Themen Raum und Wasser auseinanderzusetzen?
Ich liebe die Städte am Wasser. Sie haben, ganz naiv gesprochen, etwas freieres, weil die Flüsse führen zum Meer, außer streng genommen die Binnenflüsse. Das Meer ist poetische Mystik und Wirklichkeit zugleich und schlechthin. Also hat es sich durch Reisen in Städte am Meer, am Fluss und Weiher, an Wasserstätten ergeben: Istanbul, Heidelberg, Lychen, Osterode und so fort. Zugleich schaffte ich in einem Fischrestaurant, wo sich absurde und dunkel-humorvolle, aber auch lichte Betrachtungen ergaben. Genau so ist darin, so hoffe ich, die Poetik: Fluide, Hindernisse paradox auflösend, konkret, aber auch sich verschließend.
4. Welche Projekte hast du für das Jahr 2024 geplant?
Dann sollte ich mein Rechtsreferendariat abgeschlossen haben und auch in einer juristischen Arbeitswelt stehen, die mir hoffentlich aber auch Zeit zum arbeitenden Schreiben ermöglicht. Ich möchte gerne »Trennung der Tage« schreiben und hoffentlich, abschließen. Einen weiteren Lyrikband kann ich mir vorstellen, aber da sammelt das Unterbewusstsein im Standby-Modus noch Reize, Impressionen und Symbolbilder. Wahrscheinlich wird eine Übersetzung meines dritten Lyrikbands Kometen Kometen erscheinen: ins Englische, durch Csilla Toldy.