Simon Kluth
Simon Kluth
Stipendiat Musik 2022
Simon Kluth (*1986 in Hamburg) studierte Violine an der HfM Detmold, HMTM Hannover und am CNSMD Paris sowie Schauspiel an der ADK Baden-Württemberg. Er war Stipendiat des Deutschen Musikwettbewerbs und erhielt für seinen Composer Slam den Niedersächsischen Förderpreis Musikvermittlung. Er arbeitete mit Regisseur*innen wie Christiane Pohle, Schorsch Kamerun und Simon Stone und spielte in Film- und Fernsehproduktionen für ZDF und RTL.
In seinem künstlerischen Schaffen setzt sich Simon intensiv mit der Frage nach zeitgemäßen Interpretationen von Musik auseinander und bewegt sich dafür an der Schnittstelle von Schauspiel, Musik und Film. In der Spielzeit 2021/22 komponierte er die Theatermusik zu „FEINSTOFF.Vier Versuche mit Seide“ am Staatstheater Cottbus.
Interview
Du bewegst dich an der Schnittstelle von Schauspiel, Musik und Film. Wie kamst du dazu?
Seit meinem Geigenstudium suche ich nach Wegen und Möglichkeiten Musik zeitgemäß zu interpretieren. Dabei meine ich nicht nur die Frage, welche Arten der konzertanten Aufführung es gibt, sondern vielmehr, welche wirklichen Übersetzungen ich für den poetischen Moment einer Komposition finden kann. „Interpretationen“ in der Kunstmusik sind, meiner Meinung nach, vielmehr Reproduktionen, die unreflektiert einer Aufführungstradition huldigen. Mir ist natürlich bewusst, dass das sehr provokant formuliert ist und vielleicht lässt sich auch darüber streiten, ob das denn auch so stimmt oder nicht.
Jedenfalls ist dies ein wesentlicher Grund, warum mich Theater und Schauspiel so sehr inspirieren: es gibt unendlich viele Inszenierungsmöglichkeiten eines Theaterstückes, die auch in so elementare Komponenten wie bspw. Text, Besetzung oder Aufführungsmedium, eingreifen. Dies steht im kompletten Gegensatz zur Kunstmusik mit ihrer traditionellen Aufführungspraxis. In der Schauspielerei fand ich zum allerersten Mal für mich die Möglichkeit wirklich einzigartige Interpretationen machen zu können. Natürlich sind Theater und Musik zwei unterschiedliche Genres und funktionieren anders. Allerdings bin ich der festen Überzeugung, dass die Rolle der Schauspieler*in und die der Musiker*in ein und dieselbe ist. Es bedarf vielmehr einer neuen Perspektive auf die Musik.
Als Schauspieler hat mir Film schon immer sehr viel Spass gemacht, da es eine ganz andere Arbeitsweise bietet als eine Theaterproduktion. Das Spielen vor der Kamera ist etwas anderes als auf der Bühne live vor Publikum.
Das Medium Film ermöglicht nochmal ganz andere Erzählweisen, da der Blick der Zuschauer*in viel konzentrierter gelenkt werden kann. Als Filmemacher interessiert mich besonders die Verbindung von visueller und auditiver Ebene und wie das eine aus dem anderen entsteht.
Neben der Musik und Schauspielerei komponierst du auch. Wie findest du deine Themen?
Meine Kompositionen waren bisher Theater- bzw. Filmmusiken. Das heisst, am Anfang gab es immer eine thematische Vorgabe. Allerdings liebe ich es prozessorientiert zu arbeiten. Ich schreibe keine fertige Musik, die dann auf die Inszenierung oder den Film gestülpt wird, sondern ich mag es, wenn sich Musik und Inszenierung bzw. Film Hand in Hand entwickeln.
Im Falle der Theatermusik war es z.B. die Musik zu dem Stück „FEINSTOFF. Vier Versuche mit Seide“ von Lars Werner, welches von Rafael Ossami Saidy inszeniert und letztes Jahr im Winter am Staatstheater Cottbus uraufgeführt wurde. Mir bringt es sehr viel, wenn ich bei den Proben anwesend bin und meine Ideen ausprobieren kann um dann mit Regie und Bühnen- und Kostümbild gemeinsam zu überlegen, was die jeweiligen Entscheidungen für unsere Gewerke bedeuten.
Bei FEINSTOFF war es mir u.a. auch ein sehr wichtiges Anliegen, dass die Schauspieler*innen selber Musik live auf der Bühne machen. Durch die Zusammenarbeit mit ihnen entstanden dann nochmal ganz andere Dynamiken und Möglichkeiten im Entstehungsprozess.
Beim Film interessiert es mich ebenfalls Bilder und Musik gemeinsam zu entwickeln. Ich sehe meine kompositorische Arbeit daher als einen audiovisuellen Vorgang, der Bewegtbilder und Musik gleichermassen mit einschließt. Mein aktueller Film „stocken lassen, nicht wenden“ von meinem Duo AM I RIGHT entstand ebenfalls auf diese Art und Weise.
Im April hattest du dein Regiedebut mit dem Kurzfilm „Kreisleriana". Wovon handelt der Film?
Der Film erzählt die Geschichte von Hanna, einer jungen Unternehmerin, und Johnny, einem gealterten Schauspieler, die mit Geschlechter- und Altersdiskrimierung konfrontiert werden und wie sie dagegen ankämpfen.
Kreisleriana ist eine filmische Interpretation des gleichnamigen Klavierstücks Kreisleriana op.16/8 von Robert Schumann. Was mich an dem Stück von Anfang an faszinierte, war seine Ambivalenz, die durch das Verhältnis zwischen linker und rechter Hand entsteht, ganz besonders durch die rhythmischen Verschiebungen im Bass. Das Stück strahlt eine permanente Gefahr aus, da man sich ständig auf wackligem Fundament befindet und sich nie sicher sein kann, was als nächstes passiert. In der Musik ist diese Gefahr aber nicht sofort erkennbar, da die die rechte Hand mit ihrer simplen und verspielten Melodie zunächst in den Vordergrund tritt. Der Bass in der linken Hand gibt aber dieser scheinbar harmlosen Melodie eine Trübung und mehr und mehr eine monströse Tief- und Abgründigkeit. In diesem Zusammenhang passte das Thema Alltagsdiskriminierung als ein Zustand von ständiger, schleichender Gefahr prinzipiell ganz gut.
Aus der Zweistimmigkeit in der Komposition entwickelte ich dann auch die Idee den Film mit zwei Protagonist*innen und zwei Erzählsträngen zu erzählen, die zunächst parallel und unabhängig nebeneinander verlaufen, dann aber im Laufe des Stücks immer mehr miteinander verflochten werden.
Was planst du während deines Stipendiums?
Es gibt zwei größere Themen, die mich stark interessieren und die ich in der kommenden Zeit angehen möchte.
Zum einen möchte ich das, was ich mit meinem Kurzfilm Kreisleriana gemacht habe, also die Interpretation von Kunstmusik mit außermusikalischen Mitteln, auf die Bühne übertragen. Derzeit bin ich noch am Konzipieren und mit der Stoffentwicklung beschäftigt. Eine zentrale Frage wird sicherlich sein, welche Rolle ich als Musikinterpret spiele. Was bedeutet es, wenn ich eine konkrete Rolle als Interpret spiele? Wenn ich eine Komposition wie einen (Noten-)Text lese, was ist meine Lesart dieses Textes? Was interessiert mich an diesem Text und welche Mittel setze ich ein? Gibt es nur eine Figur oder mehrere?
Zum anderen interessiert mich rein inhaltlich das Thema Blockchain ungemein. Ich bin gar nicht unbedingt ein technikaffiner Mensch, d.h. alle rein technischen Aspekte dieser Technologie interessieren mich gar nicht so stark, sondern vielmehr was Blockchain für unser soziales Miteinander bedeutet oder bedeuten kann, wenn Institutionen und sonstige vertrauensbildenden Knotenpunkte, wie wir sie kennen, mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Dazu möchte ich weiter recherchieren und eine künstlerische Umsetzung für die Bühne finden, in der es auch viel Musik geben wird. „Bühne“ meine ich immer synonym für „Live“ mit Zuschauer*innen, unabhängig davon ob physisch oder digital.