Christina Schmid

Foto: © Jolanda Selting

Christina Schmid
Stipendiatin Literatur 2022

Christina Schmid (*1985 in Tuttlingen) lebt als freie Gestalterin, Künstlerin und Autorin in Stuttgart. Sie studierte Kommunikationsdesign und Kulturpublizistik und führt den Verlag Prima.Publikationen, der mit dem Preis der Stiftung Buchkunst für das Schönste Buch des Jahres 2021 ausgezeichnet wurde. Ihr Interesse gilt Raum und Zeit sowie Menschen und ihren Geschichten. Mit sensiblem Blick für das Besondere im Alltäglichen beobachtet und belauscht sie das Leben.

Interview

Als Autorin, Buchkünstlerin, Gestalterin und Verlegerin bewegst du dich an der Schnittstelle von Bildender Kunst und Literatur. Was interessiert dich daran besonders?

Mich interessiert das Wechselspiel von Inhalt und Form. Wenn Erzähltes, Grafisches und Haptisches parallel entstehen und ineinandergreifen, entsteht etwas Eigenes. Neulich beschrieb jemand mein Tun als ›Utopie des Büchermachens‹: Ich denke mir Bücher aus und schreibe, gestalte und veröffentliche sie selbst über unseren Verlag Prima.Publikationen. Bücher sind für mich kleine Welten zum Mitnehmen und Eintauchen. Ich mag das Objekthafte, das haptische Erlebnis, den Rhythmus der Seiten, die Konzentration und Intimität. Gleichzeitig sind meine Bücher Kommunikationsmittel, die über das gedruckte Werk hinausgehen: Performative Vermittlungsformate wie kulinarische Lesungen mit meiner Oma Heidi schaffen Momente des Austauschs zwischen Generationen; Treppenspaziergänge mit Lesung und Sitzgelegenheit lenken den Blick auf das Besondere im Alltäglichen.


Woran arbeitest du gerade?

Gerade trug ich meine Träume in die Räume des Literaturhaus Stuttgart, für ein begehbares Traumtagebuch: Textblätter wirbeln über die Wände, sie hängen an Nadeln mit blauen Köpfen, mit etwas Abstand zu blauen Papierschatten an der Wand; Scheinwerfer vervielfachen die Schatten und machen das Papier zum Objekt – ein Buch im Raum. Zur Ausstellung erschien das Buch ›geträumt‹, eingefasst in zwanzig verschiedene Umschläge aus Cyanotypien der Bremer Künstlerin Sara Förster. In Anlehnung an zerknitterte Kopfkissen wurde das lichtempfindliche Papier in immer neuen Faltungen durch die Sonne belichtet, so entstand eine ganze Serie an Traumlandschaften aus Licht und Schatten. Zuletzt belichtete sie sogar Bettwäsche für meine Traumlesung im Bett. Das Format der Zoom-Lesung passte gut in die Zeit des Zuhausebleibens, in der wir uns zumindest in Traum besuchten. Noch schöner war die Finissage vor Ort, mit einem Gespräch ins Blaue hinein, mithilfe eines interaktiv-performativen Zufallsgenerators aus Papierschiffchen und Fliegern, und meinen Traumgästen im Publikum.


Wie findest du deine Themen?

Wiederkehrende Themen in meiner Arbeit sind Zeit und Raum. Ich arbeite gerne mit dem, was da ist: Alltag, Erinnerungen, persönliche Archive. Spuren des Lebens dienen mir als Rohmaterial. Jedes meiner Projekte hat seine eigene Entstehungsgeschichte, oft führt mich das eine zum Nächsten, auch mal in größeren zeitlichen Abständen: Für mein erstes Künstlerbuch ›Tag für Tag‹ verarbeitete ich alle notierten Termine von 2001 bis 2011 als Kalender, der meine sprachliche Entwicklung seit der Schulzeit lesbar macht – unzensiert. Für das Folgeprojekt ›Zehn Jahre Jetzt‹ versammle ich die komplette Alltagskorrespondenz zwischen mir und meinem Mann von 2011 bis 2021. Durch Ausblenden eines Großteils unseres zehnjährigen Wortwechsels, heben wir die Sprachschätze heraus, so entsteht ein dreihundertseitiges Liebesgedicht. Mein erstes Raumbuch zeigt das Straßburger Viertel Krutenau, dessen Straßen ich zusammen mit Clara Neumann durchwanderte und der Länge nach sortierte. Danach kannte ich mich aus und schaute mit anderem Blick auf die Stadt. Zurück in Stuttgart wollte ich auch diese Stadt (mit der so viele hadern) anders sehen und zeigen. So kam es zu meinen ›Stuttgarter Stufennotizen‹ und zu Themen für weitere Spaziergangsprojekte.


Was planst du während deines Stipendiums?

Diesen Sommer schwimme ich gemeinsam mit der Architektin und Stadtplanerin Aida Nejad durch Stuttgart: Wir kartieren die Wasserstellen der Stadt und machen sichtbar, was da ist – oder da sein könnte. Stuttgarts Sehnsucht nach Wasser ist größer als das Wissen um seinen tatsächlichen Reichtum an Quellen, Brunnen, Flüssen, Bächen und Seen. Aktuell sind wir auf Quellenrecherche, im Juni installieren wir eine Bodengrafik aus Wasserflächen im Literaturhaus Stuttgart und sammeln Stuttgarter Wassergeschichten, im September gibt es Stadtspaziergänge mit Lesung und Trinkpausen an Brunnen und Ende des Jahres erscheint ein Künstlerbuch mit Wasserkarte. Ich freue mich, bei diesem Projekt mein Schreiben weiterzuentwickeln und mit neuen Formen und Formaten zu experimentieren.

 

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