
Felix Reinhuber

Felix Reinhuber
Literatur 2024
Felix Reinhuber (*1990 in Herrenberg) ist ein in Berlin und Stuttgart lebender Dichter. In seinen Gedichten unter dem Arbeitstitel »schatten-impulse« beschäftigt er sich unter anderem mit dem Spektrum zwischen Melancholie/Depression und Inspiration. Er zieht die oftmals rein negative Sichtweise auf Depressionen in unserer Gesellschaft in Zweifel und evoziert dieses Phänomen ambivalenter, paradoxer: als Unglück, Hemmnis – zugleich als manchmal notwendigen Teil tiefer Wahrnehmung und Lebendigkeit. Impulse für sein Schreiben empfängt er aber auch aus der schattenhaften Prozesshaftigkeit der Form, zum Beispiel in der visuellen Kunst. Außerdem arbeitet er an einem ersten Roman, in dem er Rilkes Anfangszeit in Paris und dessen Stilfindung unter dem Einfluss von Rodin aufleben lässt. Er hat ein Staatsexamen in Deutsch und Englisch und einen Bachelor in Englischer und Neuerer Deutscher Literatur von der Universität Freiburg. 2022 war er Writer-in-Residence an der Cité Internationale des Arts in Paris, gefördert von Atelier Mondial.
Interview
1. Du hast schon während deiner Schulzeit zu Gedichten gefunden.
Was begeistert dich an dieser Textform?
Gedichte sind die Antidepressiva der Sprache.
Diesen Satz hätte ich als Schüler nie so formuliert. Aber eine leise Ahnung war damals wahrscheinlich schon da. Gedichte elektrisieren das Wort, den Kopf. Sind Intensität, konzentrieren alles auf minimalen Raum, Außenwelt, Innenwelt, Wahrnehmung, Wissen, Denken, Fühlen. Wie sprachliche Pillen – schnell eingenommen, aber lange und immer wieder wirksam.
Wenig Schwarz, viel Weiß
„Antidepressiv“ wirken Gedichte für mich mindestens in einem doppelten Sinn: Zunächst, weil es schlicht glücklich macht, wenn ein Gedicht glückt. Wenn etwas haltbare Form annimmt, was vorher nur vage gefühlt und flüchtig gedacht war. Antidepressiv wirken Gedichte aber auch, weil sie nicht nur die Schreibenden belohnen, sondern weil sie die Sprache selbst (und darüber die Lesenden) neu stimulieren. Verödete Phrasen und Klischees werden synaptisch gespalten. Tote Metaphern pulsen wieder. Verloren geglaubte Sprachregister schließen ihre Dendriten mit dem Text kurz.
Im Alltag nutzen wir Sprache oft ab, ziehen sie herunter. Beschränken ihre Ausdrucksmöglichkeiten unter anderem auf Informationstransfer. Geglückte Gedichte reißen Sprache und Psyche nach oben, geben jedem Wort, jedem Satzzeichen – selbst dem bloßen Weiß der Seite – wieder andere Aktionspotentiale.
Lyrik habe ich also schon früh (etwa vermittelt über Rainer Maria Rilke und Gottfried Benn, später dann u.a. über Durs Grünbein oder Marion Poschmann) als etwas tief Psychologisches, ja Physiologisches erfahren. Zunächst unbewusst, dann immer bewusster. Um ihre tiefe Hirnstimulation zu erreichen, müssen Gedichte „die Prosa der Verhältnisse“ hinter sich lassen. Müssen (sich) abheben – mit dem Risiko, abgehoben zu wirken, den Kontakt zu verlieren.
Manche Gegenwartsgedichte erscheinen vielleicht zu krass, gewollt, fremd oder solipsistisch. Aber der antidepressive Impuls, der von Lyrik ausgehen kann, ist auf Dauer nur möglich, wenn Gedichte in alle Richtungen hin entwickelt werden. Momentan ist die Vielfalt der Stile riesig. Die Kunst ist, wie die Welt, so partikularisiert wie nie. Im Extremfall besteht so die Gefahr, als Lyriker:in nur noch für sich selbst verständlich zu sein.
Die Herausforderung beim Gedichteschreiben ergibt sich also auch aus der ständigen Suche nach einer schwer zu erreichenden Balance zwischen Originalität und Anbindung an die Tradition. Für mich hat sich im Lesen und Schreiben zum Beispiel mehr und mehr ergeben, dass es auch eine stille Radikalität gibt. So gehe ich gerade eher in die Richtung von Gedichten, die man minimalinvasiv nennen könnte. Also: Weiterhin chirurgische Arbeit an der Sprache, aber mit kleineren Eingriffen statt den ganz lautstarken Operationen.
Der zunächst unscheinbare Vers als Endoskop. Das kleine Wort als Elektrode.
Schattenimpulse Schrift – zur Lichtung
2. Einige deiner Gedichte wurden in Zusammenarbeit mit Komponist:innen vertont und uraufgeführt, beim Schreiben eines deiner Werke hast Du Dich von der ersten Sinfonie Brahms‘s inspirieren lassen.
Welche Bedeutung hat dieses interdisziplinäre Arbeiten für dich?
Eine gute Brücke zur ersten Frage, denn was ich an Gedichten auch so mag, ist ihre Position an der Schnittstelle von Literatur, Musik und bildender Kunst. Es stimmt, dass ich mich für die Grundstruktur meines Gedichtbandes von der Grundstruktur in Brahms‘ erster Sinfonie inspirieren habe lassen (ganz grob: per aspera ad astra / durch das Raue zu den Sternen / vom Schatten zum Licht). Dabei war auch Brahms‘ psychologisches und motivisches Ringen mit seinem musikalischen Übervater Beethoven für mich in meiner Auseinandersetzung mit der literarischen Tradition in meinem Manuskript ein Vorbild.
Aber tatsächlich würde ich sagen, dass die bildende Kunst für mich momentan noch wichtiger als die Musik ist. So habe ich den Arbeitstitel „schatten-impulse“ für meinen ersten Band unter anderem auch aus meiner Liebe zum Impressionismus entwickelt. Und ein Merkmal meiner Lyrik, zumindest in diesem Manuskript, ist, dass fast jedes Gedicht eine eigene graphische Gestalt hat, dass das Schwarz im Weiß immer neue freie Form annimmt. Woraus diese Formen sich im Einzelnen genau speisen, bleibt oft auch unbewusst. Aber bewusst bin ich mir beispielsweise darüber, dass neben dem Impressionismus auch die leeren Flächen in japanischer Tusche-Malerei und in abstrakter Kunst (siehe Pierre Soulages unten) oder auch die harten Schnitte des Kubismus für die Gestalt meiner Gedichte wichtig sind.
3. In Deinem Manuskript des Gedichtbands »schatten-impulse« ist die Natur ein wiederkehrendes Motiv.
Inwiefern lässt sich dieses in Beziehung zu deinem Studienort Freiburg im Schwarzwald bringen?
Ich gehe sehr gerne wandern, was sich in meiner Studienzeit in Freiburg erst so richtig ergeben hat. Beim Wandern entstehen auch immer wieder Gedichte. Aber die letztlich entscheidendere Naturerfahrung für diesen ersten Band hatte ich wahrscheinlich während meiner Zeit als Writer-in Residence in Paris. Da war ich viel an der Küste der Normandie unterwegs, was sich jetzt im Manuskript in einem eigenen Abschnitt/Kapitel „gischt“ niedergeschlagen hat.
4. Auch setzt du dich in deinem geplanten Band mit den Themen Melancholie und Depression auseinander.
Welche Aspekte möchtest du hierbei besonders beleuchten?
Gedichtbände sind natürlich keine Essays, aber es wäre schön, wenn „schatten-impulse“ etwas von dem komplexen Zusammenhang von Depression und Inspiration einfangen könnte. Beziehungsweise von der schwer zu ziehenden Grenze zwischen Depression und Melancholie.
Wann handelt es sich um eine nur destruktive Depression? Wann wird Depression etwas leichter, geht vielleicht schleichend in Melancholie über und wird auf einmal kreativ? Inwiefern ist Depression – die Erfahrung des Nichts – manchmal grundlegend für die Erfahrung von Etwas, von Neuem? Ich beobachte an mir selbst, dass leere, teils auch sehr niedergeschlagene Phasen oft Schreibphasen vorausgehen (müssen?). Und ich finde dieses Muster in der ganzen Geschichte der Kunst im weiteren Sinn wieder (zu den allerbekanntesten depressiv veranlagten Künstler:innen zählen u.a. die schon vorher genannten, Beethoven, Brahms, Rilke, Benn, aber natürlich genauso Frauen, wie Plath, Bachmann, Woolf, Kahlo . . . ).
Wenn heute in den Medien über Depressionen bei zeitgenössischen Künstler:innen gesprochen wird, dann steht in meiner Wahrnehmung immer das eine sofort im Vordergrund: „Zum Glück ist das vorbei!“ Das ist natürlich zunächst sehr verständlich, weil Depressionen einerseits furchtbar zu durchleben sind. Aber für einen ehrlichen Umgang mit diesem geistig-körperlichen und noch immer einigermaßen mysteriösen Phänomen, fände ich es wichtig, anzuerkennen: Depression/Melancholie ist andererseits auch der dunkle Nährboden für Neues – vielleicht vor allem bei Künstler:innen, aber bestimmt nicht nur.
„schatten-impulse“ ist also mein Versuch, möglichst das ganze Spektrum zwischen diesen Extremen einzufangen – wieder. Denn Epochen wie Romantik, Renaissance oder Antike waren in ihrer Weisheit, ihrer Akzeptanz bezüglich der Melancholie unserer aufs (Wieder-)Funktionieren getrimmten Zeit voraus.
5. Welche Vorhaben konntest du in deinem Stipendienjahr voranbringen oder realisieren?
„schatten-impulse“ ist jetzt als Manuskript fertig. Ich hoffe, für mein Debüt bald einen Verlag zu finden. Noch für diesen Band konnte ich durch das Stipendium auch eine Reise nach Rodez ins Museum von Pierre Soulages finanzieren – ein Maler, der mich besonders beschäftigt und über den ich dort einen Zyklus geschrieben habe.
Meinen zweiten Band (Arbeitstitel: feuer fangen) konnte ich beginnen.
Und mit dem Komponisten Márton Illés arbeite ich an einem Libretto / Musikstück, das hoffentlich, wenn die Finanzierung steht, unter anderem bei den Berliner Festspielen 2026 uraufgeführt werden wird. Während der Recherche für das Libretto habe ich mich vor allem in die Evolution der Sprache eingearbeitet.