Gin Bahc

Foto:© Alex Thelen

Gin Bahc
Stipendiatin Bildende Kunst 2021

Gin Bahc (*1985) studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Gustav Kluge und Marcel van Eeden. 2017 erhielt sie ein Aufenthaltsstipendium für Wien und 2019 bis 2020 war sie Stipendiatin an der Cité Internationale des Arts Paris. 2021 erhielt sie für ihr innovatives Kunstprojekt, den "Kunstlieferservice", eine Förderung durch NEUSTART KULTUR. Ihre Arbeiten waren unter anderem  in der Stiftung Centre Culturel Franco-Allemand Karlsruhe, der kleinen Humboldt Galerie Berlin sowie im Kunsthaus Baselland zu sehen. Die Beschäftigung mit gesellschaftliche Themen, das Verhalten von Menschen in ihrem sozialen Umfeld bilden die Grundlage für das künstlerische Schaffen von Gin Bahc. Entblößung und Verschleierung, Demütigung, Selbstbestimmtheit und Macht sind dabei wichtige Themen. Ihre Zeichnungen sind der Ausgangspunkt für Installationen und Performance, die den Rezipienten mit einer assoziativen Bilderflut konfrontieren.  

Interview

Du beschäftigst dich in deinen Arbeiten mit gesellschaftlichen Themen. Was fasziniert dich daran?
Ich interessiere ich mich stark für Themen wie Migration, Nationalismus, sexuelle Identität, Klassenzugehörigkeit und alle Arten von Minderheitenfragen, die nicht zum Mainstream gehören. Von Geburt an sind wir mit bestimmten äußeren Merkmalen (Nationalität, Rasse, Geschlecht, körperliche Verfassung) geboren, und wir haben keine andere Wahl, als das so zu akzeptieren. Ich sehe die Wurzeln all dieser sozialen Phänomene und Probleme in der menschlichen Natur. Interessant ist insbesondere das typische Kontrollbedürfnis, das Stabilitätsbedürfnis und die daraus abgeleitete kollektive Psychologie und Machtstrukturen, die in fast allen Gesellschaften zu beobachten sind. Dagegen steht die ständige Zufälligkeit und Unberechenbarkeit unseres Lebens, die Spontaneität und Unüberlegtheit unserer Reaktionen, die sich oft dem Bewussten entziehen, und uns oft der Lächerlichkeit preisgeben. Menschen sind vielfältige und fließende Wesen, die nicht spezifiziert werden können, aber um in einer Gesellschaft zu leben, werden sie kategorisiert, sie werden Darsteller in einem Drama und mit einer bestimmten Rolle. Ich frage mich, wie und aus welchem Grund ein Mensch seine Rolle in der Gesellschaft bekommt oder ob er diese Rolle selbst wählt. Diese Wahl interessiert mich besonders. Ich frage mich, ob etwas wirklich eine eigene Wahl sein kann, selbst wenn wir meinen, ganz aus eigenem Antrieb gewählt zu haben. Meiner persönlichen Meinung nach gibt es auf dieser Welt nichts rein Spontanes, und in den meisten Fällen haben wir unsere eigenen Rollen durch Andere bekommen.

In deinen aktuellen Arbeiten hast du dich von der reinen Malerei und Objekten hin zu offeneren und hybriden Formen bewegt. Warum?
Ein einfacher Grund ist, dass ich mit der Zeit gelernt habe, dass meine Talente nicht so sehr in der Technik der Malerei oder Bildhauerei stecken. Eher im Entwickeln von Konzepten und Ideen. Ich habe insgesamt mehr als 10 Jahre Malerei studiert, aber meine Malfähigkeiten sind technisch nicht herausragend. Nach dem Abschluss arbeitete ich an Installationen und mit Performance, weniger an der Malerei. Oft sagten mir Leute, meine Malerei sei uninteressant, aber ich hätte interessante Ideen und Geschichten. Als Maler wollte ich dem nie zustimmen, aber nach meinem Abschluss musste ich mich auf reale, materielle Fragen konzentrieren, sprich Geld und mein Visum in Deutschland. Ich konnte nicht einfach nur weiter Bilder malen, die niemand kaufen will. Mich der Performance zu widmen war eine großartige Erfahrung, ich war relativ frei von akademischen Zwängen. Meine eigene Persönlichkeit und mein Umfeld haben mich bewusst oder unbewusst auf dieses Feld geführt. Ich habe sehr lange an drei Kunstakademien studiert. Als ich so Kunst studierte, konnte ich Kunst nicht mit meinem Leben in Einklang bringen. Ich kannte Kunst als etwas, das von mir getrennt war, das ich studieren und erreichen musste. Nach meinem Abschluss an der Kunstakademie konnte ich mein Leben jedoch mit der Kunst vereinen. Mein Leben ist kein reines Gemälde oder Objekt in einer bestimmten Form, das sich wiederholt und vollständig ist, sondern es ist fließend und unvollendet und kann alles sein. So ist die Kunst, die ich mache. In diesem Moment wurde Kunst mein Leben. Dies ist der Moment, auf den ich schon lange gehofft habe, als ich studiert habe. Anstatt zu objektivieren, zu bewundern und Kunst zu studieren, wurde Kunst wirklich zu meinem Beruf, den ich mache, ob ich will oder nicht.

Wer oder was inspiriert dich?
„Inspirieren“ ist hier vielleicht nicht das richtige Wort, aber es sind meistens die negativen Dinge auf der Welt, die mich zur Kunst antreiben, unsere disparate Zeit und Gesellschaft. Kunst ist für mich eine Reaktion auf diese Probleme.

Welche Pläne hast du während deines Stipendiums?
Der im September letzten Jahres gestartete Kunstlieferservice soll wieder aufgenommen werden. Ich habe diesen Dienst letztes Jahr mit Unterstützung des Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württembergs und des CCFA Karlsruhe begonnen. Wegen der aktuellen Situation konnte ich im Herbst und Winter wenig davon realisieren. Ich habe ein paar Anfragen erhalten, teilweise von zu weit weg, um sie während des Lockdowns auszuführen. Auch in Karlsruhe gab es Anfragen. Die Kunden verstanden meinen Service aber mehr als Dekorationsdienst um einfach Kunstwerke zu mieten und das Wohnzimmer zu Hause damit nach ihrem Geschmack zu dekorieren. Das ist sicher auch ein Teil davon, aber als Kunstservice soll es doch darüber hinaus gehen. Kunst hat im Gegensatz zur Dekoration und Konsumprodukten auch immer etwas Übergriffiges, wenn sie etwas beim Betrachter in Bewegung setzen will. Beim Kunstlieferservice greift sie direkt in den eigenen Wohnraum ein, verändert ihn. Sie kann (muss aber nicht) als Störfaktor in der eigenen Welt wahrgenommen werden. Die Kunden sollten also bereit sein, nach Absprache und temporär einen Teil ihres Wohnraums der Kunst zu opfern. Dabei werden auch durch die Vorstellungen und Erwartungen des Kunden an die Kunst berücksichtigt. Die letztendliche Form und Art des Kunstwerks bestimmt aber die Künstlerin. Durch die Unterstützung von Neustart Kultur kann ich diesen Service kostenlos anbieten, so muss der Kunde auch wirklich nur einen Teil des Wohnraums der Kunst widmen, und nicht noch etwas bezahlen. Das bietet dem Projekt die beste Ausgangssituation. Beschreibung des Projekts. „Kunstlieferservice“: Die Kunst kommt per Lieferdienst. Analog zu den zahlreichen Lieferdiensten initiiere ich einen Kunst-Lieferservice mit temporärem Büro, mit dem die Kunst zum Kunden nach Hause kommt. Im Büro oder telefonisch wird der Rahmen abgesteckt, die Materialität festgelegt und die Präsentationsdauer sowie die Interaktionsmöglichkeiten besprochen, die das Kunstwerk auslösen soll. Ausstellungsort ist dann aber, nachdem die Rahmenbedingungen festgelegt wurden, die eigenen vier Wände der Kunden. Und das Publikum sind die Gäste, die – in begrenzter Anzahl – dorthin eingeladen werden. Im Folgenden der Entwurf eines Textes, der sich an potenzielle Kunden des Lieferservices richtet, und in dem die Idee näher ausgeführt wird: „Seit A.C.(After Corona) lassen sich die meisten Menschen noch mehr Dinge nach Hause liefern. Nun können Sie sich sogar eine Kunstausstellung liefern lassen. In dieser Zeit ist es schwierig, Ausstellungsorte und Publikum zu finden und überhaupt der künstlerischen Arbeit weiter nachzugehen. Ich möchte gerne ihren Wohnraum oder auch nur eine kleine Ecke davon, die Sie zur Verfügung stellen, kurzzeitig in einen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst verwandeln. Dadurch wird eventuell auch ein Teil der Wohnung umfunktioniert. Ich dachte an diese Idee, als ich spätabends wegen eines Notfalls einen Handwerker rufen musste. Das war teuer, aber unbedingt notwendig. Diese unmittelbare Notwendigkeit besteht für Kunst im eigenen Wohnraum nicht. Bezahlt wird die die Kunst durch Stiftungen oder Stipendien. Deshalb opfern Sie, anstatt für die Installation von Kunst zu bezahlen, einen Teil Ihres Lebensraums für Ausstellungszwecke. Um ein sehr überspitztes Beispiel zu nehmen: Wenn der Ausstellungsort ihr Bett wäre, müssten Sie für die Zeit der Ausstellung auf dem Sofa schlafen. Sie würden in diesem Beispiel wählen, wie lange Sie zugunsten der Kunst auf den bequemeren Schlaf verzichten möchten.

Wie läuft die Bestellung ab?
Zunächst wird im persönlichen Gespräch versucht zu erkunden: Was bedeutet Kunst für Sie, was ist die Funktion und Notwendigkeit der Kunst, für Sie als Kunde? Gleichzeitig wird der genaue Ort der Ausstellung festgelegt. Welchen und wieviel Raum soll die Kunst einnehmen? Der Ausstellungsort muss kein leerer Raum sein. Es gibt keine Größenbeschränkung, auch nicht zum Kleinen. Zum Beispiel befindet sich in der Tasse Kaffee, die Sie gerade trinken oder auf der Tastatur des Computers vor Ihnen auch ein Ausstellungsraum. Unserer Vorstellung vom Ausstellungsraum sind keine Grenzen gesetzt. Wählen Sie persönlich einen Ort aus, der zu den Schlussfolgerungen aus der Diskussion über Kunst passt. Sobald der Ort festgelegt wurde, entscheidet der Künstler über das Thema, die Materialien und die Ausdrucksmittel für die Ausstellung. Sie erhalten dann eine realisierte Ausstellung und ein Künstlerstatement.

Foto Startseite: © Lisa Bergmann

Zurück

Förderer & Sponsoren