Linda Weiß
Linda Weiß
Stipendiatin Bildende Kunst 2023
Linda Weiß (*1987, Hanau) lebt und arbeitet in Stuttgart. Sie studierte Freie Kunst an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main und schloss 2022 das Weißenhof-Programm der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ab. Seit 2015 ist sie Teil des Kollektivs Blockadia*Tiefsee. Ihre Installationen waren unter anderem im Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Kunstmuseum Heidenheim, Kunsthaus Nürnberg und Kunstverein Freiburg zu sehen.
Interview
1. Kannst du etwas über die Installation »Looking for Medusa« in der Ausstellungsreihe »Triff das Riff«, in Senckenberg Museum Frankfurt a.M. und deine Zusammenarbeit mit Nina M. W. Queissner (sound artist) erzählen?
Ich kenne das Senckenberg Naturmuseum seit meiner Kindheit und habe mich sehr über die Einladung gefreut. An dem Ort, der mich so oft zum Staunen brachte und immer noch bringt, zusammen mit Nina eine Installation entwickeln zu dürfen, war herausfordernd, lehrreich und vor allem aufregend. Für die Raum-Klang-Installation »Looking for Medusa« haben Nina und ich Material aus unterschiedlichen Lebensbereichen gesammelt, intensive Diskussionen geführt, auch in engem Austausch mit der Kuratorin Ellen Wagner, die uns mit Rat und Tat begleitet hat. Wir waren am ZMT, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen, einem der Kooperationspartner des Projekts, sind aber auch einzeln ausgeschwärmt: Nina hat beispielsweise Unterwasserklänge in Ägypten und in heimischen Gewässern aufgenommen, während ich die von Korallen geprägte Vergangenheit der Schwäbischen Alb erkundete. Über die Projektdauer hinweg ist ein gemeinsames, digitales Archiv entstanden, das wir zum einen für unseren Austausch – von verschiedenen Arbeitsorten aus – genutzt haben. Zum anderen ist es eine Einladung an die Besucher*innen, mit uns in diese faszinierende Welt einzutauchen. Das digitale Archiv ist u.a. im Museum einsehbar über eine multifunktionale Displaystruktur, die der Künstler Markus Zimmermann für »Triff das Riff« entwickelt hat. So können Besucher*innen im Raum neben der Installation erfahren, welche Bücher, Podcasts, Vorträge, Field Trips, Klänge und Objekte uns inspiriert haben.
In der Umsetzungsphase der Installation haben wir immer wieder Klang-Tests im Ausstellungsraum gemacht, Materialproben dort diskutiert und hatten das Glück, im Museum selbst ein Atelier zu haben, sodass wir quasi Tür an Tür waren mit dem naturalistischen Korallenriff-Diorama, das Zentrum der Dauerausstellung (sehr sehenswert!).
Mit all unseren Recherchen im Gepäck sind wir sehr schnell an den Punkt gekommen, dass wir uns gefragt haben, wo unsere Berührungspunkte mit dem Ökosystem Korallenriff sind. Denn an den europäischen Meeresabschnitten gibt es (fast) keine Süßwasser-Korallenriffe. Und obwohl das Tauchen in Korallenriffen von Deutschland aus einen langen Reiseweg bedeutet – sie also geografisch sehr weit weg scheinen –, hat auch das Handeln in Deutschland lebender Menschen direkten Impact auf die Gesundheit der Korallenriffe. Schlussendlich geht es in der Ausstellungsreihe »Triff das Riff« auch darum, wie im Museum die derzeitigen Veränderungen und zukünftigen Konsequenzen des Klimawandels erfahrbar werden können. Wo sind also unsere Berührungspunkte? Wo begegnen wir den Korallen kulturgeschichtlich? (Spoiler: Medusa) Welche climate fiction können wir hieraus für zukünftige Co-Habitation installativ und klanglich erzählen? Entstanden ist eine Raum-Klang-Installation, welche die Bedingungen des Ausstellungsraumes als Lebensraum selbst verhandelt und eine Nische schafft für eine an Details übersprudelnde Bucht: Die Nähe und der Zustand der Korallenriffe ist spürbar über Klänge und deutet sich visuell über herannahende oder sich entfernende Körperfragmente wie die horizontalen Wasserböden-Patches und die „tentakulären Wesen“ an. Die Körper letzterer sind durch Kristallwachstum gekränkt, manchmal gesprengt. Denn selbst Salz wird im Klimawandel ein unberechenbarer Faktor – ein Stresstest – für das Fortbestehen der Korallen.
2. Wie hat sich dein Interesse für und deine Beschäftigung mit Installationskunst entwickelt?
Ich collagiere schon lange Textfragmente, Bildschnipsel und Zeichnungen zu einer taktil erfahrbaren Skizzenwand zusammen. So sind an meinen Zimmerwänden immer wieder viele verschiedene Materialien zusammengekommen. Freund*innen standen oft neugierig davor und haben versucht, die ins Dreidimensionale wuchernden Assemblagen zu dechiffrieren. Mit dem Kunststudium bot sich mir die Möglichkeit, das Arbeiten von der Wand zu lösen und Kreisläufe, Ökosysteme, Schaltpläne, Metabolismen, rhizomare Ordnung und chaotische Narrative nicht mehr nur an der Wand miteinander zu verkleben, sondern in begehbaren Szenarien im Raum zu formulieren. Dabei mag ich besonders die Herausforderung, die Betrachter*innen dazu zu verführen, durch die Anwesenheit ihrer Körper im Setting, Teil der Installation werden zu wollen. Eine meiner ehemaligen Professorinnen, Susanne M. Winterling, nannte diese Momente innerhalb meiner Installationen »Docking Stations«. Bei »Looking for Medusa« gibt es bspw. eine Fläche, auf der Besuchende liegen, sitzen und entspannen können, um den von Nina komponierten Klang zu hören, bzw. auch zu spüren. Es ist eine Einladung mit Tücken: der Geruch von Seegras, körperhaften Riffausschnitten, dem Anblick des naturalistischen Dioramenriffs und dem Aufrütteln und Erzittern durch noise pollution. In einer anderen Installation wuchsen Handyladekabel aus Keramiksteinen mit Pixelcamouflage. Auch eine Carrera-Bahn lud schon ein, dem eigenen Leistungskampf zu verfallen. Für die Ausstellung »Misfortune must be fought back« mit Jonas Bolle und Marian Mayland im L6 in Freiburg ist das Formel1-ähnliche Spielzeug stillgelegt, bereit für seine Dekonstruktion und Renaturierung.
3. Welche Materialien und Techniken bevorzugst du typischerweise bei der Schaffung von Installationen und warum?
Welches Material oder welche Techniken für eine Installation zusammenfinden, stellt sich im Prozess heraus. Meist sind es Materialbeziehungen – Materialien, die eine für mich überraschende Bindung miteinander eingehen. Wobei sich nicht nur zwischen den Materialien Freundschaften entwickeln, sondern auch ich mich in den Prozess einschreibe. Beziehungsarbeit ist der Versuch und das Durchhalten, die Materialien, oder gar andere Lebewesen, immer mehr kennen zu lernen und hierbei auch das eigene Einwirken zu hinterfragen. Zur Zeit arbeite ich gerne mit Keramik und bin fasziniert von dem Verhältnis zwischen Ton und Salzen. Ein Mitbewohner und Freund, Wolfgang Olbrich, versteht glücklicherweise als Wissenschaftler sehr viel mehr, von dem, was ich experimentell austariere und spielt oftmals mit mir eine Art Reverse-Engineering des visuell Wundersamen aus. Da kann es schon mal vorkommen, dass wir gemeinsam eine Art Station für Salzkristallzucht in der Speisekammer unseres Wohnprojekts anzetteln.
4. Planst du schon weitere Projekte im Laufe deines Stipendiums?
Wie oben erwähnt, stellen Marian, Jonas und ich im Rahmen unseres Stipendiums gemeinsam in Freiburg aus. Hierdurch konnte ich meine SCOBY-Installation weiterentwickeln. Außerdem bin ich gerade sehr im Wurmkompost-Fieber, mal wieder. Mit Blockadia*Tiefsee habe ich an der Ausstellung »Hausputz! Und andere Visionen für das Museum Kurhaus Kleve« teilnehmen dürfen. In diesem Rahmen ist unsere erste Keramik-Wormery im Außenraum entstanden. Hieran will ich auf jeden Fall weiterarbeiten. In der Keramikwerkstatt des Künstlerhauses Stuttgart werde ich neben der Wurmarchitektur auch die Kristallisationsprozesse und deren Kräfte innerhalb von Keramiken weiterverfolgen. Ganz konkret bin ich aber gerade am Erarbeiten einer Publikation mit Blockadia*Tiefsee – einer neuen Posteredition, und in der Endphase für meine erste eigene Publikation »A vase is a vessel, even a cocoon«, mit tollen Texten von Sonja Borstner und Ellen Wagner. Und wenn das alles gemacht ist, freue ich mich auf einen kleinen Ausflug nach Berlin, um im Stipendiat*innen-Atelier der Kunststiftung zu arbeiten, wahrscheinlich viel zu lesen und einiges anzusehen.