Mizi Lee
Mizi Lee
Bildende Kunst 2024
Mizi Lee (*1990, Changwon, Südkorea) nutzt alle Arten von Medien und überschreitet die Grenzen aller Disziplinen, um ein einzigartiges Ereignis zu schaffen. Mal gründet sie einen Fake-Supermarkt, um Prospekte voller Kunstwerke zu drucken, mal schreit sie in einer Punkband in der Berliner Kulturbrauerei oder in alten Waggons am Nordbahnhof Stuttgart. Sie arbeitet interdisziplinär-kollektiv, weil sie der Meinung ist, dass für Kunstwerke mehr nötig ist als eine Künstlerin. Im Jahr 2022 gründete sie die Punkband Horizontaler Gentransfer und schafft mit ihr reihenweise Projekte, die an der Schnittstelle von Bildender Kunst, Performance und Theater liegen. Sie hat einen Bachelor in Malerei, Hongik Universität, Seoul und absolvierte ihr Diplom in Bildender Kunst an der ABK Stuttgart bei Nadine Bracht, Werner Schüle, Enno Lehmann, Claudia Heinzler, Solveig Fröhling, Jonghyun Park, Martin Lutz, Nobert Kull, Thomas Breitenfeld, Daniel Mijic, Justyna Koeke, Tilmann Eberwein, Prof. Bier, Prof. Roggan, Prof. Roob, Prof. Thomas und Schorsch Kamerun.
Interview
1. Wie wählst du die Themen und Medien aus, die du in deinen Projekten bearbeitest?
Dazu hatte ich neulich ein interessantes Gespräch mit einer Freundin. Wir waren beide etwas verwirrt darüber, dass wir Schwierigkeiten haben, eine freie Arbeit zu produzieren. Ich glaube, ich habe irgendwann damit angefangen, einen Rahmen für meine Kunstwerke/Aktionen zu schaffen. Ich bin eine Künstlerin, die sehr weit weg ist vom klassischen Topos der Atelierarbeit-Künstler:innen. Das heißt, ich bin keine Künstlerin, die den ganzen Tag im Atelier sitzt und handwerklich arbeitet. Deshalb wähle ich meine Themen und Medien sehr pragmatisch und realistisch aus, je nachdem, wo und wie meine Aktion oder Ausstellung stattfinden kann. Klassische Kunstliebhaber:innen mögen das vielleicht nicht gerne hören: aber bei mir hängt es tatsächlich sehr stark von den Finanzen ab. Ich schaue, mit welchem Thema ich arbeiten kann, um Förderungen zu bekommen. Der Ort und der Raum sind dann meist schon begrenzt, je nach Förderbedingungen. Mit diesen Begrenzungen kann ich mittlerweile gut arbeiten. Trotzdem habe ich natürlich meine Fantasien. Mein Diplomkonzert »I like Stuttgart and Stuttgart likes me« war eines, bei dem ich mir sehr viel Mühe gegeben habe, erst alles zu fantasieren und dann die Vorgaben zu erfüllen. Die bürokratische Arbeit hat mich dann ein halbes Jahr beschäftigt. Trotzdem hat es mir sehr viel Spaß gemacht und ich habe immer noch ein gutes Gefühl, wenn ich daran zurückdenke. Ich wünsche mir, dass ich mehr solcher Kunstaktionen machen kann. Deshalb bin ich sehr froh über das Stipendium, weil es mir neue Möglichkeiten bietet.
2. Du hast 2021 ein Pseudo-Supermarkt-Logo und entsprechende Merchandiseprodukte entwickelt. Was war die Idee hinter diesem Projekt und wie hat es die Öffentlichkeit aufgenommen?
Damals fiel der Sommerrundgang an der Kunstakademie Stuttgart wegen Corona-Maßnahmen in Präsenz für zwei Jahre aus. Alle Kunstwerke sollten digital präsentiert werden. Ich war damals hochschulpolitisch aktiv als Studierendenvertreterin und Tutorin in meiner Klasse und gehörte ehrlich gesagt auch zu denen, die unzufrieden waren. Es gab Proteste, Petitionen, Graffiti, alles Mögliche gegen diese Maßnahmen. Ich wollte etwas Lustigeres, Genialeres als Gegenaktion machen – damals war ich oft mit meinem Partner, Julius Nägele und einer sehr guten Freundin von mir, Y-Thanh Vo, in der Akademie unterwegs. Da kamen wir gemeinsam auf die Idee, einen Pseudo-Supermarkt namens »ABK Minus« wie »EDEKA Weckert« zu entwerfen. Das Logo ist visuell stark an »EDEKA« angelehnt und bezieht sich auf den überproportionalen Aufwand, den die Hochschule für ihre Außenwirkung betreibt, während sie nach innen wenig vorankommt. Die Studierenden sollten ihre Kunstwerke lieber in einem Supermarktprospekt zeigen. Wir haben einen Aufruf gestartet, welche Kunstwerke in dem Prospekt der »ABK Minus« erscheinen sollen. Davon haben wir dann 200 Stück gedruckt und überall in Stuttgart verteilt. Außerdem haben wir T-Shirts mit dem Logo der »ABK Minus« in der Siebdruckwerkstatt gedruckt, die ganz schnell ausverkauft waren.
3. Was hat dich dazu inspiriert, die Band »Horizontaler Gentransfer (HGT)« zu gründen?
Ich bin seit 2018 Mitglied in der Band »Akademische Betriebskapelle«, mit der ich viel über Performance und Aktionskunst lernen konnte. Dort habe ich mir häufig überlegt, dass ich meine Diplomprüfung gerne als Konzert machen würde, weil ich es oft viel schöner fand, ein Konzert als Ausstellungseröffnung zu haben als eine Ausstellungsrede. Ähnlich ging es mir mit dem Format »Diplomprüfung« – ich fand es abgenutzt, eine Diplomprüfung nur mit zwei Professoren für 20 Minuten zu machen. Hinzu kam, dass ich zu Corona-Zeiten viel mehr mit rassistischen Vorwürfen konfrontiert wurde. Aus diesen Erfahrungen heraus habe ich dann Songtexte geschrieben, die zum großen Teil auch aus Zitaten anderer Songs bestehen. Dann hatte ich eine Artist-Residency in der »Raumstation« bei der Ateliergemeinschaft Waggons. Da kam mir die Idee, eine Band zu gründen und in den Waggons zu proben. Daraus ist dann die Band Horizontaler Gentransfer entstanden – ursprünglich nur bis zu meiner Diplomprüfung gedacht, aber dann hatten wir so viel Spaß, dass wir es als gemeinsames Projekt weiterführen.
4. Du behandelst häufig das Thema K-Pop, kannst du uns mehr darüber erzählen?
Gerne, es ist eigentlich nur eine Metapher, um meine persönliche Perspektive auf den Postkolonialismus zu thematisieren. In Korea gibt es die Redewendung »Bist du traurig wie jemand, der sein Land verloren hat?«, die ich einmal zu einer deutschen Freundin sagte, die sie nicht verstand. Da wurde mir klar, wie tief dieses kollektive Trauma als Kolonialvolk in mir verankert ist. Als Koreanerin habe ich immer gelernt, wie viel Schaden wir als Kolonie angerichtet haben, und das hat mich traumatisiert. Obwohl ich den Krieg nicht selbst erlebt habe, empfinde ich eine große Wut und Angst gegenüber der japanischen Armee. Jetzt, wo K-Pop weltweit bekannt ist, gibt es in Korea ein Meme, dass wir Japan mit unserer Kultur »besiegt« haben. Das finde ich an sich traurig und zugleich lustig, dass wir Koreaner:innen uns immer an Japan revanchieren wollen.
»Die Animes, die die Japaner gemacht haben, haben mich berührt. Obwohl Japan damals viele Animes wegen seines Nachkriegstraumas gemacht hat. Es war so, als hätte ich Tränen in den Augen aus dem Tagebuch des Mörders, der der Mörder meiner Eltern war. Anime hat mich getröstet und K-Pop hat mich weitergebracht. Denn K-Pop-Sänger:innen waren schon immer sehr fleißig«. So las eine Schülerin, die ich für mein Diplomkonzert engagierte, meinen Text vor. Ich glaube, dass Kultur wie Manga und J-Pop mir persönlich sehr geholfen haben, die Hürde dieser grausamen Erinnerung und dieses kollektiven Traumas zu überwinden und die Japaner:innen als Menschen und nicht als Monster wahrzunehmen. Und ich glaube, dass gerade K-Pop diese Funktion bei Jugendlichen in Ostasien und darüber hinaus hat, weil in K-Pop-Bands oft Menschen aus verschiedenen Ländern (Korea, Japan, China, Thailand) zusammen tanzen und singen. Interessant ist auch, dass seit der vierten Generation des K-Pops (ca. 2020) nicht mehr über Sex und Liebe gesungen wird, sondern über Selbstbewusstsein und Weltfrieden. K-Pop schafft einfach ein starkes Bild für Jugendliche, coole Leute aus verschiedenen Ländern tanzen synchron und wollen Frieden. Und es ist durchaus interessant, diese Verbindung auch in Deutschland zu zeigen, weil ich selbst als Nachkomme eines kolonialisierten Landes nicht nachvollziehen kann, wie es sich anfühlt, auf der Täterseite das kollektive Gedächtnis zu tragen und sich trotzdem lieben zu können. Können Schuld und Schuldgefühle vererbt werden, und muss das so sein? Vielleicht ist es schön, den K-Pop-Stars beim Tanzen zuzusehen, aber vielleicht ist es eine verzweifelte Bewegung, die dieses Paradoxon zum Ausdruck bringt?