Myriam Khouri
Myriam Khouri
Stipendiatin Literatur 2022
Myriam Khouri (*1986 in Heidelberg) studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Psychoanalyse in Frankfurt a. M., anschließend Bildende Kunst in Karlsruhe und Wien. Seither verknüpft sie literarisches Schreiben mit bildnerischen und szenischen Ausdrucksformen.
Interview
Wie kamst du zur Literatur?
Das Schreiben stellt für mich eine Form dar, in der ich Gedanken, Wahrnehmungen, Empfindungen, die sich im alltäglichen Sprachgebrauch nicht ohne weiteres aussprechen lassen, fassen und gestalten kann. Dabei nutze ich sowohl zeichnerische wie schriftliche Ausdrucksformen, um einen Gegenstand, eine Idee, etwas Unverstandenes nah heranzuholen und zu untersuchen. Die Sprache interessiert mich darüber hinaus in ihrem Klang, ihrer Musikalität und der Textur, etwa von haptischen Worten, von sensorischem Sprachmaterial. Auch deshalb habe ich während meines Kunststudiums angefangen, kurze szenische Texte und Monologe zu schreiben, die mir als Grundlage für Sprech-Performances dienten. Es ging mir dabei zunächst um den Akt des Sprechens und um seine Inszenierung. Später habe ich mich mehr aufs Schreiben konzentriert, zunächst von Theaterstücken und Lyrik, schließlich von längeren Erzählungen. Aus einer davon ist mein erster Roman „Die Eingeschlossenen oder Henriettes Fest“ entstanden. Das Schreiben ist auch eine Möglichkeit, Gelesenes zu verarbeiten und eine Entsprechung für innere Zustände zu finden. Antrieb meines Schreibens ist der Wunsch, Zustände, Wahrgenommenes, Nichtausgesprochenes in Sprache zu kleiden.
Du arbeitest gerade an deinem zweiten Roman „Manel. Eine Wüstengeschichte“. Wovon handelt er?
Die Erzählerin Manel fährt von Marseille aus über das Mittelmeer nach Algier, die weiße Stadt am Meer und Hauptstadt Algeriens. Es ist ihre erste Reise in das nordafrikanische Land, aus dem ihr Vater stammt und das hundertdreißig Jahre lang französisch kolonisiert war. Manel betrachtet alles, was ihr dort begegnet mit verschlingendem Interesse. In Constantine, einer von Felsen durchdrungenen Stadt im Nordosten, lernt sie einige ihrer algerischen Verwandten kennen. Mit ihrem Cousin und ihrer Cousine bricht sie in die Oasenstadt Biskra auf, von dort aus erkunden sie Randgebiete der algerischen Sahara. Manels Erzählung ist von Wüstensehnsucht getragen. Sie fühlt sich von der Weite und Leere dieser immens sich ausdehnenden Landschaft, die oft als lebensfeindlich beschrieben wurde, schon lange angezogen. Das Gefühl von Grenzenlosigkeit, das sie in der Wüste empfindet, lässt Gewissheiten klein und brüchig erscheinen.
Im Hintergrund schwelt das Unausgesprochene, das aus dem Wissen um die bewegte Geschichte der ehemaligen Kolonie hervorwächst. Die Auswirkungen des Unabhängigkeitskriegs gegen Frankreich in den 1950er und frühen sechziger Jahren und des „schwarzen Jahrzehnts“ in den 1990er Jahren, als das Land in einem blutigen Bürgerkrieg zwischen islamistischen Gruppierungen und der algerischen Armee versank, wirken spürbar nach. Der Roman lenkt, ohne erklären und bewerten zu wollen, den Blick auf diese Geschichte einer erzwungenen Abhängigkeit, die beispielhaft für Konflikte stehen kann, wie sie an anderen Orten zu anderer Zeit immer wieder aufflammen.
Vornehmlich geht es auch um einen künstlerischen Blick auf Landschaften und Städte und um eine Erzählerin, die zu fassen, zu verstehen, zu erkennen sucht, was vor sich geht, vor sich gegangen ist und was in ihr selbst geschieht, wenn sie sich – umgeben von Hitze, Stein und Sand – in diesem Land aufhält, mit dem sie sich widersprüchlich verbunden fühlt, ohne bislang dort gewesen zu sein.
Du verknüpfst literarisches Schreiben mit bildnerischen und szenischen Ausdrucksformen. Wie entstand diese Verbindung?
Während meines Kunststudiums habe ich nach Möglichkeiten gesucht, meine verschiedenen Betätigungsfelder in eine gemeinsame Form zu bringen, ohne dass das eine das andere erklärt, illustriert oder stützen muss. Das Sprachliche und das Visuelle, das Hörbare und das Stoffliche sollten gleichberechtigt nebeneinanderstehen und gleichzeitig erscheinen. Für die Aufführung meiner Texte entwerfe ich Objekte aus Stoff, die den Raum bühnenhaft strukturieren und teilweise auch zu Kostümen werden, während ich als Sprecherin zwischen ihnen Aktionen ausführe, die den Lesefluss rhythmisieren. Dabei haben mich sowohl das Theater als auch die Beobachtung von Ritualen inspiriert, sowie ein Interesse an Stoffen, ihrer Materialität und deren Einwirkung in Kleiderform auf den Körper. Diese Aspekte, Ideen, Interessen kombiniere ich um die Texte, die ich schreibe, herum und gebe der Sprache somit einen visuellen, dynamischen und auditiven Rahmen, in dem sie anders erscheinen kann, als später im gedruckten Buch.
Was planst du während deines Stipendiums?
Ich bin gerade dabei den oben beschriebenen Roman über Algerien und die Wüste fertigzustellen. Gleichzeitig sammle ich Material für den nächsten Roman. Es wird darin ums Wohnen gehen und die psychologischen Auswirkungen von Wohnungen, Architekturen und Landschaften (baulichen wie natürlichen); um die Wechselwirkung von Wohnraum und Bewohnern, Architektur, Bewusstsein und Körper. Ich habe mich bereits in meinem ersten Roman mit dem Themenkomplex Wohnen und Psyche beschäftigt, komme aber immer wieder auf neue Aspekte, die ich verfolgen will. Eng verknüpft mit dem Wohnempfinden werden Klang, Geräusch und deren psychische Implikationen, die sich oft jenseits des Sprachlichen bewegen, in zukünftigen Texten eine Rolle spielen.