Sophia Schiller

Foto: © Lucia Schiller

Sophia Schiller
Stipendiatin Bildende Kunst 2022

Sophia Schiller (*1992 in Rottweil) studierte Medienkunst und Film an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe bei Răzvan Rădulescu und Andrei Ujica. Sie ist Mitgründerin des Filmwerk Kalliope, ein Verein der sich der Herstellung von künstlerischem Film und Installationen widmet. Ihre künstlerische Arbeit konzentrierte sich bisher auf filmische Formen. Dabei beschäftigt sie die Frage, welche Bedeutung Realität im Film hat.

Interview

Du arbeitest derzeit an deinem Projekt „Der schmerzlose Körper“. Worum geht es dabei?

In meinem aktuellen Projekt widme ich mich dem Verhältnis von Körper und Zeit in unserer Leistungsgesellschaft. Dabei setzte ich mich mit dem Thema Gefängnis und der Frage des inneren und äußeren Gefangenseins auseinander. Die Arbeit mit der rudimentären fotografischen Technik der Camera Obscura ermöglicht, lebensgroße Ganzkörperaufnahmen direkt auf Papier belichten zu können. Für denjenigen, der im Gefängnis seine Zeit absitzt, haben 12 Minuten Belichtungszeit eine vollkommen andere Bedeutung als für denjenigen, der sich inmitten unserer Leistungsgesellschaft befindet und ständig nach Erlebnishöhepunkten und Momentaufnahmen jagt. Die Fotografien sollen den Gefängnisinsassen in seiner Zeitlichkeit begleiten und diese Dauer der Zeit ohne Konturen in sich einschließen. Durch die lange Belichtungszeit erhält die empfundene Zeitlosigkeit des Insassen Einzug in seinen Ausdruck und die Ästhetik der Bilder.
Diese Lochkamera Fotografien sollen den visuellen Hauptbestandteil einer Installation bilden, die einen Erlebnisraum schafft und uns die Konfrontation mit unserer eigenen Projektion des Gefangenseins erlaubt.


Woher kommt dein Interesse für Film?

Ich bin in einer großen Familie mit vielen Onkels und Tanten, Cousinen und Cousins aufgewachsen.
Meine Kindheit war geprägt von Familienfeiern, die bis tief in die Nacht dauerten, mit schweren Mahlzeiten, starkem Alkohol, gemeinsamem Musizieren und dem Vergnügen, endlose Geschichten zu hören. Manche dieser Geschichten hörte man über lange Zeiträume hinweg von vielen verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven, die sich Stück für Stück zu einer größeren Erzählung zusammenfügten. Sie wurden so oft wiederholt, bis sie zu einer Art mystifiziertem Märchen wurden. Diese Erzählungen sind das Gedächtnis eines Kollektivs und werden zum Vermächtnis einer Gemeinschaft, die sich noch immer weiterentwickelt. Dieses Umfeld hat in mir das Interesse an dem universellen, menschlichen Bedürfnis nach Geschichten geweckt.
In mir wuchs darüber die Neugierde, wie Menschen ihre Geschichten erzählen, etwas das mich in gewisser Weise schon immer mehr faszinierte als das, was sie erzählen. Dadurch, wie jemand erzählt, offenbart er sich selbst. Ich bin der Überzeugung, wir zeigen uns durch das, was wir sagen, aber wir beweisen uns durch das, was wir tun. Der Film griff diese Neugierde in mir früh auf und zeigte sich mir als ein Medium, das mir ermöglichte, den inneren Graben zwischen mir und der Welt zu überschreiten.


Mit welchen Themen setzt du dich auseinander?

Der Mensch ist ein strukturbildendes Wesen. Ich interessiere mich sehr dafür, wie diese Strukturen aussehen und wie sich die Menschen in ihnen und um sie herum bewegen. Die Familie ist die kleinste Zelle der sozialen Struktur, in der sich unser Umgang mit Beziehungen zeigt. Deshalb ist die Suche nach den Schatten innerhalb eines funktionierenden Familienkontextes ein wiederkehrendes Element in meiner bisherigen Arbeit.
Durch die Untersuchung des menschlichen Ausdrucks im Handeln und Sprechen suche ich nach dem Menschlichen in allen menschlichen Wesen. Am deutlichsten zeigt sich dieses Wesen im Irrtum.
Um es mit Hannah Arendts Worten zu sagen: „Wir sind alle darauf angewiesen zu sagen ‚Herr vergib ihnen was sie tun, sie wissen nicht was sie tun.‘ Das gilt für alles Handeln. Einfach ganz konkret, weil man nicht wissen kann. Das ist ein Wagnis. Nun würde ich sagen, abschließend, dass dies Wagnis nur möglich ist, im Vertrauen auf die Menschen. Das heißt in irgendeinem schwer zu fassendem, grundsätzlichem Vertrauen in das menschliche aller Menschen, an das könnte man glauben.“ (Hannah Arendt bei Günther Gaus 1964)


Für deine Materialstudie arbeitest du mit einer Camera Obscura. Wie groß ist die Herausforderung, diese Arbeit zu realisieren?

Die große Herausforderung an der Umsetzung der Arbeit mit der Camera Obscura liegt in erster Linie an dem großen Materialaufwand. Es handelt sich in diesem Fall um eine von mir selbst konzipierte und errichtete, übergroße Lochkamera die mir ermöglicht, Menschen in Lebensgröße direkt auf Papier zu belichten. Der Bedarf an Fotopapier und Fotochemie ist dadurch sehr hoch. Die Konstruktion und Justierung der Camera Obscura stellt mich ebenfalls vor einige Herausforderungen. Von der Wahl des Materials, welches Gewicht und Mobilität der Camera Obscura bestimmt, bis hin zu der Größe des Belichtungslochs, muss jeder Schritt sorgfältig durchdacht und erprobt sein, bevor die fotografische Umsetzung überhaupt beginnen kann.


Was planst du während deines Stipendiums?

Ich möchte so viel Zeit wie möglich in der Camera Obscura und der Dunkelkammer verbringen. Mein Ziel ist es, bis Ende des Jahres eine Ausstellung vorzubereiten. Außerdem möchte ich mich dem Thema vertiefend philosophisch und medientheoretisch nähern. Die Arbeit wird von einigen Projekten umrankt, so werde ich beispielsweise den Gefängnisaspekt mit einer filmischen Arbeit weiter vertiefen. Mein Abschlussfilm, mit dem ich vergangenen Herbst mein Studium abgeschlossen habe, steckt in den letzten Zügen des Sound Designs und soll dann veröffentlicht werden. Im Juli wird er bei der Graduiertenausstellung an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe zu sehen sein. Danach ist eine Festivalauswertung geplant. Mit dem Filmwerk Kalliope, das sich der Herstellung von künstlerischem Film und installativen Arbeiten widmet, steht der Abschluss und die Auswertung des von mir betreuten Animationsfilm Backup von Gerrit Kuge an. Außerdem stehen zwei weitere Dokumentarfilme in der Pipeline und warten auf Finanzierung und Umsetzung.

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